Ralf Mackel ist ein absolut außergewöhnlicher Mensch.
Er hat von Geburt an keine feststellbare Sehstärke. Das heißt, er kann nur helle und dunkle Flächen unterscheiden. Jedoch hält ihn das in keinster Weise davon ab, nach seinen Wünschen zu streben. Schon als zehnjähriger war er begeisterter Bastler an Mopeds, welche er selbstverständlich auch persönlich testete. Auf Feldwegen und Hinterhöfen prüfte er, ob er alles richtig zusammen geschraubt hatte; auch wenn es mal Beulen gab. Mit elf Jahren machte er dann eine eigene Tour. Er fuhr mit der Honda Dax seiner Mutter nach Friedberg, um seine Erzieherin zu überraschen, welche er sehr mochte. Die Überraschung gelang; allerdings rief sie nicht die erwünschte Reaktion hervor. „Kaum stand ich mit dem Moped bei der vor der Tür, hat die Alte Alarm geschlagen und meine Eltern angerufen.“ Übel nehmen kann man ihr das nicht. Da stand ein elfjähriger blinder Junge vor ihr, welcher gerade durch den öffentlichen Verkehr mit einem Moped 30 Kilometer zu ihr gefahren war.
Möglich machte ihm dies sein Wille, sein Gehör und sein Zeitgefühl. Immer wenn Mackel zweimal die Woche zu seiner Erzieherin chauffiert wurde, kurbelte er das Fenster runter, um zu hören.
Und wie er hörte.
Mackel hörte die Beschaffenheiten des Asphalts, wo eine Hauswand, wo eine Litfaßsäule oder wo andere Autos Schall reflektierten bzw. erzeugten. Aus diesen auditiven Informationen kreierte er -zusammen mit den zeitlichen Informationen über Abbiegungen, etc.- seine Karte der Welt.
Bei Ampeln arbeitete Mackel dann mit Tricks. Er fährt rechts ran, reibt seine Augen als wäre etwas reingeflogen und hängt sich an das nächste Auto, welches kommt, hinten dran. Die Fahrt zu seiner Erzieherin sollte nur eine Station auf Mackels Fahrerlaufbahn werden. Eine weitere war beispielsweise eine Spritztour mit einem „ausgeliehenen“ Baustellenbagger auf dem Schulhof seines Blindeninternats, bevor er durch einen Baum gestoppt wurde, den er „überhörte“.
Er ist heute bekannt als der einzige blinde Rennfahrer der Welt. Durch seinen Ehrgeiz, seine Zielstrebigkeit und seinen eisernen Willen verwirklichte er auch diese Idee. Dabei nutzt er alle Möglichkeiten, die er zur Verfügung hat. Zunächst fährt er ein Modell der Strecke mit den Fingern ab, um eine grobe Idee von ihr zu bekommen. Dann geht es raus auf die Strecke. 10, 20, 30 Runden dreht Mackel auf der Strecke, zunächst als Beifahrer bei exakt 15 Zentimeter geöffnetem Fenster. Dabei prägt er sich jedes winzige auditive Detail der Strecke ein. Dann setzt er sich selbst ans Steuer. Und das durchaus erfolgreich. So fuhr er in die Top-Ten der Einzelfahrer auf Formel Renault.
Auch wirtschaftlich wusste Mackel seine vermeintliche Schwäche schon früh in einen Vorteil umzumünzen. Da er auf ein Blindeninternat mit nur einem Gemeinschaftsfernseher ging, überzeugte er eine Elektrohandlung ihm die Fernseher mit defekter Bildröhre zu überlassen, um sie dann zu verkaufen. So rüstete er seine Schulkameraden mit Fernsehern aus. Weiter ging es dann mit der benachbarten Gehörlosenschule. Dort verkaufte er Geräte ohne Ton. Von seinem Verdienst finanzierte er sich seine Leidenschaft: Mopeds, bzw. alles, was einen Motor hat und fährt. Zunächst hatte er mit zwölf Jahren ein Moped, welches er mit Hilfe eines benachbarten Pförtners in der Nähe seines Internates versteckte. Mit fünfzehn kaufte er dann ein Taxi „Ich dachte, dass mich keiner anhält, wenn ich ein Taxischild auf dem Dach habe“ kommentierte er.
Seine erste berufliche Karrierestation war die Ausbildung zum Programmierer, welche er mit Auszeichnung absolvierte. Da er jedoch trotzdem bei seinem Arbeitgeber keinen passenden Arbeitsplatz erhielt, übernahm Mackel wieder selbst die Initiative. Er übernahm einen großen Bosch-Dienst in Frankfurt. Anfangs fiel niemandem auf, dass er blind war. Er brachte den Laden wieder auf Erfolgskurs, um ihn dann wieder abzustoßen und seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Mackel eröffnete sein eigenes Autohaus in Frankfurt. Zwei Mitarbeiter unterstützten ihn, wo immer es nötig war. Die Diagnose nahm er jedoch selbst vor. Zu 99% hört er, wo die Probleme sitzen.
Seine Erfolge blieben selbstverständlich nicht ungesehen. So ist er inzwischen bei so manchen bekannten Talkmastern zu Gast gewesen, u.a. bei Günter Jauch, Harald Schmidt und Johannes B. Kerner. Heute ist er unter anderem Kooperationspartner von Kawasaki Deutschland. Zudem unternimmt er Events, um seine positive Lebenseinstellung zu verbreiten und anderen Menschen mit Handicap Vorbild zu sein. So bietet er in seinem Mobilitätstraining Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, einmal aus dem Alltag auszusteigen und Freiheit zu erfahren. In diesem Training kommt er mit seinem Quad vorbei und nimmt sich Zeit für die Jugendlichen. Sie erleben, wie sie aller Behinderungen zum Trotz, mit Selbstbewusstsein und Motivation im Leben stehen können.
Seine Geschichte als Rennfahrer ist mittlerweile in dem Buch „Blind am Steuer“ von Philip Dorian Blau veröffentlicht. Ralf Mackel ist ein einzigartiger Mensch, der unbeirrt nach seinen Wünschen strebt, ohne sich durch Vorschläge oder Einschränkungen von der Umwelt oder anderen Menschen begrenzen zu lassen. Diese Stärke wünschen wir auch Euch, liebe Leser.