Du kennst sie sicher auch, Menschen, die auf einer Veranstaltung gleich auf Dich zukommen, Dich beim Namen begrüßen, auch noch wissen, über was Ihr beim letzten Mal gesprochen habt, während Du noch rätselst, wer überhaupt vor Dir steht, geschweige denn den Namen weißt. Muss der oder die ein gutes Gedächtnis haben. Und wenn Du dann noch die Gedächtniskünstler, die in Fernsehshows ihre unglaublichen Leistungen zeigen, siehst… Nicht, dass es sonderlich nützlich ist, sich 500 Zahlen in fünf Minuten merken zu können, aber ein wenig von diesem Talent wäre doch schon schön für die alltäglichen Herausforderungen in Alltag, Beruf, Studium oder Weiterbildung. Lernen und uns Dinge merken müssen wir immer. Trotz immer neuer Geräte, die uns diese Herausforderung abnehmen wollen, wird es trotzdem eher mehr, statt weniger.
Die gute Nachricht
Dein Gedächtnis ist erheblich besser als Du denkst! In meinen Vorträgen frage ich meist, wer denn glaubt, ein gutes Gedächtnis zu haben. Selten meldet sich überhaupt jemand. Wir kennen die Erfahrung, dass wir uns etwas gemerkt haben, etwas gelernt haben, aber in dem Moment, wo wir es brauchen, da war es weg. Diese negative Erfahrung prägt. Dabei merkst Du Dir statistisch betrachtet natürlich viel öfter, wo Du Deinen Schlüssel hingelegt hast, als dass Du ihn vergisst. Nur lobt Dich halt dafür niemand. Niemand käme auf die Idee zu sagen: „Hey, Du hast Dir heute schon wieder gemerkt, dass Du erst die Hose und dann die Schuhe anziehen musst! Geh doch mal zu Wetten Dass! So lange es das noch gibt…“ Nein, um im Fernsehen auftreten zu dürfen muss man schon mehr zeigen. Ich war inzwischen dreimal bei besagter Sendung und in dutzenden weiteren. Aber es ist erst 12 Jahre her, dass ich selbst vor der Kiste saß und verblüfft einem Gedächtniskünstler zugeschaut habe. Ich stand kurz vor dem Abitur und war völlig verwirrt: Wie kann es sein, dass ich Sonntagabend um 21 Uhr ausgerechnet in einer RTL Sendung etwas über mein Gedächtnis erfahre, was mir in der Schule niemand verraten hat? Ich wollte wissen, ob mehr dahinter steckt und habe angefangen mich in die Gedächtnistechniken einzuarbeiten und war begeistert. Ein gutes Gedächtnis ist erlernbar! Die Gedächtnistechniken sind dabei keineswegs neu: Schon vor über zweitausend Jahren haben die griechischen Rhetoriker darüber geschrieben. Lass Dich bitte nicht verwirren, wenn heute Kollegen Altbekanntem aus Marketinggründen ihren Namen aufdrücken. Die Methoden sind großteils gleich geblieben.
Die Grundidee klingt sehr simpel und ist es eigentlich auch: Du musst in Bildern denken und verknüpfen! Du hast sehr viele Inhalte abgespeichert, Erinnerungen, Daten, Fakten, kannst Dich aber nicht daran erinnern, weil Dir der Zugriff fehlt. Kommt der richtige Reiz, oft nur ein Wort, oder jemand anderes, der von dem Ereignis erzählt, kommt auch Deine Erinnerung wieder. Sie muss also im Gehirn noch vorhanden gewesen sein! Was passiert im Gehirn eines Gedächtnissportlers? Im Rahmen meiner Doktorarbeit habe ich auch die Gehirne von Gedächtnissportlern untersucht. Dank Kernspintomographie geht das heute gänzlich unblutig. Tatsächlich stellten wir fest, dass sich das Gehirn im Wesentlichen vom Aufbau her nicht von Kontrollprobanden unterscheidet. Gut, es kommt etwas drauf an, wer in der Kontrollgruppe ist… Es ist also keine angeborene Fähigkeit, sondern jeder, auch Du, kann diese Leistungen mit den richtigen Methoden und Training erzielen. Was wir aber bei genauerer Betrachtung feststellen ist, dass beim Lernen andere Gehirnbereiche zusätzlich aktiviert werden. Gehirnbereiche, die sonst eher mit räumlichem Gedächtnis, Navigation und eben bildhaftem Lernen verbunden werden. Auch im Gehirn zeigt sich also, Gedächtnistraining funktioniert!
Die Umsetzung!
In einem zweiten Teil meiner Studie habe ich einige Probanden eingeladen, die keinerlei Vorwissen in Gedächtnistechniken hatten. Nach einem zweitägigen Kurs konnten sie in einigen Bereichen schon deutlich Erfolge erzielen, aber erst nachdem sie sechs Wochen lang jeden Tag dreißig Minuten geübt haben, war der Erfolg riesig: In allen Standardgedächtnisaufgaben haben die Teilnehmer ihre Leistung im Schnitt mehr als verdoppelt! Es gehört also Übung dazu. Sechs Wochen, 30 Minuten am Tag. Das ist nicht Nichts. Aber so viel ist es auch nicht…
Konkret: Namen merken
Zurück zum Problem vom Anfang: Namen merken. Wie geht das hier konkret? Bei Namen wie Schmied stellst Du Dir die Person einfach als Schmied vor. Dann hast Du ein Bild, es ist zudem mit der Person verknüpft. Leider trägt nicht jeder einen ähnlich einfachen Nachnamen wie Schmied oder Bäcker. Schwieriger wird es schon, wenn es um Kowalski, Rodriguez oder Oberndorfer geht.
5 Schritte
Um sich jeden Namen merken zu können, empfehle ich Dir folgende fünf Schritte:
1. Namen bewusst verstehen
2. Namen „verbildern“
3. Person „verbildern“
4. Verknüpfung
5. Wiederholung
Zunächst musst Du den Namen bewusst verstehen. Logisch? Oft aber bereits das erste Problem. Viele trauen sich nicht nachzufragen, wenn sie den Namen nicht verstanden haben. Aber dann ist es natürlich unmöglich sich den Namen überhaupt zu merken. Tipp: Benutze den Namen sofort. „Hallo Frau Maier“, „Danke Herr Michalski“. So stellst Du sicher, dass Du ihn richtig verstanden hast. Dadurch dass der Name dann im Kurzzeitgedächtnis angekommen ist, kannst Du Dir mit den weiteren Schritten Zeit lassen. Der wichtigste Schritt, um sich den Namen langfristig zu merken, ist dann den Namen in ein Bild umzuwandeln. Falsche Scheu ist hier unnötig. Berufsnamen sind einfach, das Bild ist die Tätigkeit: Müller, Bäcker, Schweinsteiger. Konkrete Namen wie Stein und Berg ergeben auch ein Bild, ebenso Adjektive wie jung, alt oder rot. Schwierigere Namen, oft ausländische, teilst Du in Silben auf: Kaczmarzik -> Katze und Marzipan, Rodriguez -> Rot und Riegel, Berezutski -> Bär, Schuh und Ski. Tipp: Du musst den Namen nicht komplett verpacken. Es reicht aus, wenn Dich das Bild an den Namen erinnert! So wird aus Seiffert das Bild Seife oder aus Palacios der Palast. Dann musst Du aber auch die Person verbildern und das mit dem Namensbild verknüpfen. Was heißt das? Meine Vorgehensweise: Die Person vorstellen, wie sie gerade etwas tut, was sie nicht wirklich tut. Ich lasse die Person etwas vor meinem inneren Auge machen, aber in der Realität steht sie ja gerade vor mir. Dadurch habe ich ein Bild der Person. Das, was sie tut, passiert natürlich mit dem Namensbild. Herr Weber arbeitet als Weber, Frau Stein jongliert Steine und Frau Bekereloz lässt einen Becher los, der zerbricht. Tipp: Bei Namen die Du schon kennst, dient die Person als Bild! Ein Herr Podolski tut sich den Po doll weh beim Ski fahren. Oder spielt mit Lukas Podolski Fußball. Zuletzt solltest Du die Bilder auch wiederholen. Am besten am gleichen Abend überlegen: Wen habe ich heute kennen gelernt, wie hießen die Personen, welche Bilder habe ich mir gemacht? Das wichtigste: Probiere es aus! Wenn Du Dich nicht gleich „in echt“ traust, übe beim Fernsehen oder Zeitung lesen: Merk Dir die Namen der Interviewten. Fang am besten gleich an! Wie kannst Du Dir meinen Namen merken? Und die Namen der anderen Autoren dieser Ausgabe?
Dr. Boris Nikolai Konrad
Dr. Boris Nikolai Konrad ist Neurowissenschaftler, Gedächtnissportler und Buchautor. Er steht als Weltrekordhalter im Namen merken im Guinness Buch und ist vielgefragter TV-Gast auf der ganzen Welt. Der bekannte Experte für Gedächtnisleistung ist weiterhin wissenschaftlich aktiv und erforscht das menschliche Gedächtnis. In seinen vielgefragten Vorträgen erklärt er anschaulich und höchst unterhaltsam, wie unser Gehirn funktioniert und wie jeder sein Gedächtnis verbessern kann.
www.boriskonrad.de